Richterbesoldung in Berlin verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 04.05.2020 zum Az.: 2 BvL 4/18 entschieden, dass die Besoldungsvorschriften des Landes Berlin mit dem von Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Alimentationsprinzip unvereinbar sind, soweit sie die Besoldung der Richter und Staatsanwälte der Besoldungsgruppen R 1 und R 2 in den Jahren 2009 bis 2015 sowie der Besoldungsgruppe R 3 im Jahr 2015 betreffen. Viele Mandantinnen und Mandanten in der Besoldungsgruppe A fragen sich jetzt, welche Auswirkungen das Urteil auf die Frage der amtsangemessenen Alimentation in ihrer Besoldungsgruppe hat.

Vergleichbarkeit der materiell-rechtlichen Ausführungen zur verfassungswidrigen Alimentation der R-Besoldung mit der A-Besoldung?

Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass sich für alle verfahrensgegenständlichen Jahre feststellen lässt, dass die Besoldungsentwicklung in den jeweils vorangegangenen 15 Jahren um mindestens 5 % hinter der Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst und der Verbraucherpreise zurückgeblieben war. In den Jahren 2010 bis 2014 lag die Differenz zur Tariflohnsteigerung bei über 10 %. Auch wurde das Mindestabstandsgebot in den unteren Besoldungsgruppen durchgehend deutlich verletzt. Hinsichtlich der Entwicklung des Nominallohnindex und im Quervergleich mit der Besoldung in Bund und Ländern wurden die maßgeblichen Schwellenwerte nicht überschritten. Weil damit drei von fünf Parametern der ersten Stufe erfüllt sind, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation, so das Gericht. Diese Ausführungen sind auf die A-Besoldungsgruppen übertragbar. Mit Blick auf die deutlich geringere Besoldung in den unteren A-Besoldungsgruppen dürften die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Mindestabstandsgebot für die A-Besoldung umso mehr gelten. Das bedeutet, nach unserer Auffassung wird das Bundesverfassungsgericht auch feststellen, dass die Besoldung in der Vorlageverfahren der Besoldungsgruppe A verfassungswidrig ist!

Gebot der zeitnahen Geltendmachung

Besonders interessant sind die Ausführungen des Gerichts zu den formalen Fragen der Geltendmachung. So führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass eine rückwirkende Behebung (Nachzahlung) lediglich hinsichtlich der Kläger der Ausgangsverfahren als auch hinsichtlich etwaiger weiterer Richter und Staatsanwälte erforderlich sei, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob insoweit ein Widerspruchs- oder ein Klageverfahren schwebe. Entscheidend sei, dass sie sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt haben, so dass der Haushaltsgesetzgeber nicht im Unklaren geblieben ist, in wie vielen Fällen es möglicherweise zu Nachzahlungen kommen wird, so das Gericht.

Fazit

Das Bundesverfassungsgericht betont noch einmal, wie wichtig es für die  rückwirkende Nachzahlung ist, dass die Ansprüche zeitnah im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung geltend gemacht wurden. Zeitnah bedeutet, dass die Ansprüche während des jeweiligen laufenden Haushaltsjahres mit sogenannten statthaften Rechtsbehelfen geltend gemacht wurden. Wir weisen an dieser Stelle darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Geltendmachung im Wege sogenannter statthafter Rechtsbehelfe für ausreichend erachtet, ohne diesen Begriff jedoch näher zu erläutern. Das Bundesverwaltungsgericht sieht die Anforderungen generell strenger und fordert eine gerichtliche Geltendmachung im laufenden Haushaltsjahr bzw. spätestens nach Ablauf des Widerspruchsverfahrens (vgl. u.a. BVerwG 2 C 16.07 Rdnr. 11 – Urteil vom 13.11.2008). Wir halten daher an unserer Empfehlung fest, den sichersten Weg zu gehen und neben dem Widerspruch zusätzlich auch zeitnah Klage zu erheben!

 

Aktuelles

Berliner Besoldungsgesetzgeber korrigiert zu niedrig bemessene Besoldung kinderreicher Beamtinnen und Beamter ab 2021: Wie geht es weiter mit den vor diesem Zeitpunkt erhobenen Ansprüchen?

Das Bundesverfassungsgericht hat am 04.05.2020 zu den Az.: 2 BvL 6/17, 2 BvL 7/17 und 2 BvL 8/17 beschlossen, dass die Besoldungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen von Richtern und Staatsanwälten der Besoldungsgruppe R 2 mit drei und mehr Kindern verfassungswidrig sind, soweit sie die Jahre 2013 bis 2015 betreffen. Die Besoldung, die auf diese Vorschriften gestützt wurde, ist verfassungswidrig zu niedrig bemessen gewesen. In Reaktion darauf hat der Berliner Besoldungsgesetzgeber die „familienbezogene“ Besoldung ab 2021 beträchtlich erhöht und damit das Bestehen eines verfassungswidrigen Zustandes bis zur Korrektur inzident eingeräumt.

 

Alimentationsprinzip verpflichtet den Besoldungsgesetzgeber nebst Richtern und Beamten auch ihre Familien angemessen zu alimentieren

 

Richter und Beamte erfüllen ihre Dienstpflichten unter dem Einsatz ihrer ganzen Persönlichkeit. So wird schon nur ernannt, wer nebst seiner fachlichen und gesundheitlichen Eignung auch seine charakterliche Eignung unter Beweis stellen kann. Einmal ernannt, sind Richter und Beamte dem Dienstherrn grundsätzlich auf Lebenszeit zur Treue verpflichtet. Hierfür erhalten sie eine „reguläre“ Besoldung, die ihnen eine über die Befriedung von Grundbedürfnissen hinausgehende und ihrem Amt angemessene Lebensführung ermöglichen soll. Indem Richter und Beamte so rechtlich und wirtschaftlich abgesichert werden, wird gleichzeitig das Allgemeininteresse an ihrer fachlichen Qualität, Unparteilichkeit und Rechtsstaatlichkeit gewahrt. Zu dieser „regulären“ Besoldung tritt die „familienbezogene“ Besoldung hinzu. Entsprechend dem grundgesetzlich verankerten Alimentationsprinzip und im Einklang mit dem Sozialstaatlichkeitsprinzip und Art. 6 Grundgesetz sollen Richter und Beamte nicht an ihrer Lebensführung einbüßen, während sie ihre Familien unterhalten.

 

„Familienbezogene“ Besoldung hat mit drittem und jedem weiteren Kind um 15% des grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes zu steigen

 

In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtmäßigkeit der Besoldung eines verheirateten Richters bzw. Beamten mit zwei unterhaltsberechtigten Kindern festgestellt. So zieht es diese Besoldungshöhe als Bezugsgröße zur Feststellung der Grenze der Unteralimentation eines verheirateten Richters bzw. Beamten mit drei und mehr unterhaltsberechtigten Kindern heran. In diesem Sinne erachtet es eine „familienbezogene“ Besoldung von mindestens 15% über dem grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarf eines Kindes für das dritte und jedes weitere Kind als angemessen. Verbleibt die Besoldung jedoch hinter diesen Vorgaben, so muss zur Familienunterhaltung auf die „reguläre“ Besoldung zurückgegriffen werden. Kinderreiche Richter und Beamte werden somit rechtlich und tatsächlich schlechter gestellt als ihre kinderärmeren Kollegen, deren „familienbezogene“ Besoldung zur Unterhaltung ihrer Familien ausreicht. Hierin liegt der Verfassungsverstoß.

 

Fazit

 

Der Berliner Besoldungsgesetzgeber hat die „familienbezogene“ Besoldung unmittelbar nach dem nordrhein-westfälischen Beschluss zum 01.01.2021 entsprechend den verfassungsgerichtlichen Vorgaben erhöht und damit selbst das Bestehen eines verfassungswidrigen Zustandes bis zu diesem Zeitpunkt inzident eingestanden. Eine Korrektur für die Vergangenheit ist indes nicht erfolgt. Beamtinnen und Beamten, die Widersprüche in den laufenden Haushaltsjahren bis 2021 erhoben haben, ist nun zu empfehlen, ihre Ansprüche mittels Untätigkeitswiderspruch bzw. klageweise geltend zu machen (Mitgeteilt und bearbeitet von Rechtsanwalt Jan General und stud. iur. Irem Karadag).

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